„Hallo, wer spricht denn da?“
Diese Frage stellen wir vielleicht, wenn jemand uns anonym anruft. Aber was, wenn wir sie uns selbst stellen müssten – mitten im Gespräch mit anderen? Wenn du sprichst – in einer Diskussion, einer Präsentation oder auch nur beim Kaffee mit einer Freundin – wer spricht da eigentlich? Bist du das wirklich?
In der täglichen Kommunikation – und besonders in öffentlichen Situationen – passiert es oft, dass wir etwas sagen, das nicht ganz wir selbst sind. Wir formulieren vorsichtiger, als wir denken. Wir vermeiden klare Haltungen. Oder wir sagen Dinge, die wir tief innen gar nicht wirklich vertreten – nur um dazuzugehören, niemanden zu irritieren oder keine Angriffsfläche zu bieten.
Dieses Phänomen ist weit verbreitet, auch wenn wir es oft nicht bewusst merken. Statt aus unserem echten Inneren heraus zu sprechen, schalten sich andere Stimmen ein: die der inneren Kritikerin, die fragt: „Kannst du das wirklich so sagen?“; die des inneren Perfektionisten, der mahnt: „Sag es besser anders – nicht dass du dich blamierst.“ Oder die des Strategen, der taktiert: „Wenn du es so formulierst, wirkt es kompetenter.“
All diese Stimmen haben ihre Gründe – sie sind Schutzmechanismen, die wir im Lauf unseres Lebens entwickelt haben. Oft stammen sie aus Erfahrungen, in denen wir Ablehnung, Kritik oder Unsicherheit erlebt haben.
Sie treten besonders dann auf, wenn wir uns exponieren – sei es in einem Bewerbungsgespräch, bei einem Referat oder einfach in einem emotionalen Gespräch. Unser Nervensystem merkt blitzschnell: Hier ist Risiko! Und bevor wir bewusst reagieren können, hat ein Teil von uns schon die Kontrolle übernommen. Dann sprechen wir vielleicht in einer Sprache, die professionell klingt – aber nicht wirklich nach uns selbst.
„Authentisch sein“ ist ein Begriff, der inzwischen inflationär gebraucht wird. Schnell klingt er wie ein weiteres Ideal, das wir erfüllen sollen: Sei immer ganz du selbst, sei echt, sei klar! Dabei ist Authentizität kein starres Konzept – und schon gar kein Zustand, den man einmal erreicht und dann für immer beibehält.
Authentisch zu kommunizieren heißt nicht, jederzeit ungeschminkt alles rauszuposaunen. Es bedeutet auch nicht, immer maximal offen oder verletzlich zu sein. Es heißt vielmehr: in Kontakt mit dir selbst zu sein, während du sprichst.
Das bedeutet:
Du spürst, was du wirklich denkst, fühlst oder brauchst – und traust dich, das in deiner Sprache durchscheinen zu lassen.
Du bist in deinem Körper präsent, nicht nur im Kopf.
Du sprichst nicht aus Angst, sondern aus Verbindung – mit deinem Anliegen, deinem Gegenüber und dir selbst.
Wenn du dich beim Sprechen öfter fragst: Bin das wirklich ich?, ist das kein Zeichen von Schwäche – sondern ein Hinweis darauf, dass dein authentischer Ausdruck möglicherweise verschüttet liegt. Nicht zerstört, nicht verloren – aber überlagert von alten Erfahrungen, Ängsten, Prägungen oder schlicht gesellschaftlichen Erwartungen.
Manche dieser Themen sind ganz konkret: Eine Präsentation in der Schule, bei der du ausgelacht wurdest. Ein Elternhaus, in dem „zu laut“ oder „zu direkt“ nicht erwünscht war. Wiederholte Rückmeldungen wie „Du bist zu emotional“ oder „Du musst sachlicher sein“.
Solche Erfahrungen schreiben sich in unsere Körpersprache, Stimme und Ausdrucksweise ein – oft unbemerkt, aber wirkungsvoll.
Oft ist es dabei das innere Kind in uns, das besonders betroffen ist. Dieser jüngere Teil von uns hat Situationen erlebt, in denen es nicht sicher war, sich offen auszudrücken. Vielleicht war es zu wild, zu still, zu verletzlich, zu direkt – oder einfach zu viel. Und um dazuzugehören, hat es gelernt, sich anzupassen. Wenn wir heute in bestimmten Momenten plötzlich nervös, schüchtern oder überangepasst reagieren, obwohl wir es „besser wissen“, dann spricht oft dieses Kind in uns – voller guter Absicht, aber aus alten Schutzmustern heraus.
Authentische Kommunikation bedeutet deshalb auch: dem inneren Kind zuzuhören. Ihm Sicherheit zu geben. Und ihm Stück für Stück zu zeigen, dass heute andere Regeln gelten – dass es gesehen und gehört werden darf, ohne sich zu verbiegen.
Möchtest du eine kleine Übung machen, um dein inneres Kind anzusprechen, bevor du sprichst?
Wenn du also kraftvoll und überzeugend sprechen willst, reicht es nicht, nur an der Oberfläche zu feilen – an Formulierungen, Haltung oder Lautstärke. Diese äußeren Aspekte sind wichtig, ja. Aber sie wirken nur dann echt, wenn sie getragen sind von einem inneren Zustand der Verbundenheit.
Deshalb beginnt authentisches Auftreten oft mit einem Moment der Innenschau:
Was fühle ich wirklich zu diesem Thema?
Was halte ich zurück – und warum?
Welche Anteile in mir melden sich zu Wort, wenn ich vor anderen spreche?
Und: Welcher Teil von mir darf noch nicht sprechen?
Diese Fragen führen uns an die tieferen Ebenen unseres Ausdrucks. Sie sind nicht immer bequem, aber notwendig, wenn wir mit unserer Sprache etwas bewegen wollen – uns selbst eingeschlossen.
Wie kannst du diesen Kontakt zu deinem „wahren Selbst“ im Sprechen stärken? Es gibt keine Patentlösung, aber ein paar erprobte Wege:
1. Atem und Körperwahrnehmung:
Dein Körper ist das Instrument deiner Stimme. Wenn du lernst, dich vor dem Sprechen zu zentrieren – zum Beispiel durch einen bewussten Atemzug oder einen Moment der Erdung –, verändert das sofort deine Präsenz.
2. Reflexion über Blockaden:
Nimm dir regelmäßig Zeit, um nachzuspüren, was dich im Ausdruck bremst. Oft liegt die Blockade nicht in der Situation selbst, sondern in einer alten Erfahrung, die getriggert wird. Allein das zu erkennen, kann schon Entlastung bringen.
3. Üben in geschütztem Rahmen:
In Gruppen oder Kursen, in denen Wertschätzung und echtes Feedback gegeben sind, kannst du neue Ausdrucksformen ausprobieren – und herausfinden, wie sich „du selbst sein“ in unterschiedlichen Rollen und Situationen anfühlt.
4. Selbstmitgefühl statt Selbstoptimierung:
Der Weg zur authentischen Kommunikation ist kein Wettbewerb. Er braucht Freundlichkeit dir selbst gegenüber – gerade dann, wenn du dich unsicher fühlst. Wachstum geschieht nicht durch Druck, sondern durch Sicherheit.
Wenn du dich dabei ertappst, Dinge zu sagen, die sich nicht ganz nach dir anfühlen, dann frag dich ruhig mal: „Wer spricht da gerade?“ Vielleicht ist es ein alter Schutzmechanismus. Vielleicht ist es ein „Ich“, das du irgendwann brauchstest – aber heute nicht mehr brauchst.
Kraftvoll zu kommunizieren bedeutet nicht, besonders laut oder besonders perfekt zu sprechen. Es bedeutet, dass das, was du sagst, mit dem übereinstimmt, was du wirklich meinst – und dass dein Körper, deine Stimme und deine Sprache miteinander im Einklang sind.
Dafür lohnt es sich, die alten Themen anzuschauen, die deinen leuchtenden Kern verdecken. Denn nur wenn du mit diesem Kern verbunden bist, wird dein Ausdruck klar, dein Auftreten lebendig – und deine Botschaft spürbar echt.
© 2025 Birgit Schibilla
Diese Website benutzt Cookies. 🍪 Wenn Sie die Website weiter nutzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Mehr Infos